Credit: Molenkamp Fotografie

17.05.2024

Und dann auch noch Elterngeld zurückzahlen als mutterwerdende Unternehmerin

Die neuste Kolumne und Erfahrungsbericht von Annemarie Graf über den fehlenden Mutterschutz für "Unternehmer mit Uterus" und wie man das Spagat ohne Netz schaffen kann...

“Dann bekomm eben keine Kinder, wenn es Dich so stört!” Nochmal bitte was? Ich soll lieber kein Kind bekommen, anstatt dass sich Deutschland endlich mal was für Unternehmer mit Uterus einfallen lässt? Fassungslos lehne ich mich zurück. Ich bin selten sprachlos, doch jetzt japse ich nach Worten.

Sanft streichle ich mir über meinen Bauch. Mein Wunder, mein kleiner Regenbogen.

Ich war damals im 5. Monat schwanger. Und das mit besten Bedingungen. Zwar schon Teilzeitunternehmerin, aber immer noch im festen Sattel einer Teilzeitanstellung. Ab der 12. Schwangerschaftswoche ging für mich im Salon nichts mehr. Maske tragen und Dauerübelkeit waren einfach meine Feinde. Dankbar ließ ich mich von meinem Arzt ins Beschäftigungsverbot schicken. Seitdem arbeite ich zu 100% an Schönsein.

Schwanger & inmitten von Corona

Es ist Dezember und meine Entscheidung steht fest. Ab Januar bin ich zu 100% selbstständig. Während dieser hochsensiblen Zeit, schwanger und inmitten von Corona, musste ich genau diesen Schritt gehen.

“Hättest Du Dich mal lieber noch auf der Anstellung ausgeruht!”

Klar, hätte ich machen können. Meine Chefin hat immer hinter mir gestanden, und dafür bin ich ihr heute noch dankbar. Doch ich hatte das Gefühl wachsen zu müssen. Nicht nur ich selbst zu einer Kugel, nein, eben auch als Unternehmerin.

Mir war klar, dass ich keinen Mutterschutz haben werde. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als ich in die private Krankenversicherung wechselte. Um hier „Mutterschutz“ via Krankentagegeld zu erhalten, muss man 8 Monate Mitglied sein. Dafür war ich eindeutig zu spät dran und mir dessen vor der Entscheidung bewusst.

Im Gegensatz zu meinen Kolleginnen im Salon und hinter dem Stuhl musste ich jedoch nicht den ganzen Tag stehen, mit Chemikalien hantieren und mich körperlich anstrengen. Ich konnte ganz einfach an meinem Schreibtisch sitzen. Dann ist doch arbeiten bis kurz vor der Geburt echt kein Thema. „Hab Dich nicht so“, murmelte ich mir damals ständig zu.

Schwangerschaftsmatsch im Kopf

Bis mein Hirn das Arbeiten aufgab. Eindeutiger Fall von Schwangerschaftsmatsch im Kopf. Die letzten 5 Wochen brauchte ich nicht mal an Arbeiten denken. Und sind wir ehrlich, ich hätte es wohl beim Aufstehen auch gleich wieder vergessen.

Nach der Geburt war ich alles, nur nicht fit. Doch ich hatte mir die Zeit eingeplant. Meine Kunden informiert. Alle Rechnungen vorher geschrieben. Anträge ausgefüllt und war bereit, Mama zu sein. Kein Business für mindestens 4 Monate, Kundenbetreuung erst wieder zum nächsten neuen Jahr (nach 8 Monaten).

Elterngeld - Rückzahlung!

Gemeinsam mit einem Anwalt habe ich mir alles berechnen lassen. Wild kalkulierend, denn Mutterschutz und die finanzielle Absicherung waren ja ausgeschlossen.

So verließ ich mich auf das Elterngeld. (Ja, ich hatte auch Rücklagen.) Als Unternehmerin und Einzelkämpferin waren keine Gewinne für 8 Monate geplant, alles fein säuberlich in die Anträge geschrieben und mein Finanzleben auf umständlichste Art und Weise offen gelegt.

Mein Tipp, liebe werdende Mamas: Nehmt euch Hilfe!

Mir wurde der Höchstsatz prophezeit. Knapp darunter sind wir am Ende gelandet. Also immer noch genug für Miete, Einkäufe, Krankenversicherung, Rente und ein paar Babyaccessoires.

Was mir in meinem Hirnmatsch wohl durch die Lappen gegangen ist (und mit all der überschwänglichen Instamotivation von „so wird das was mit dem Elterngeld“), Elterngeld ist wie eine Coronahilfszahlung.

Kannst Du bekommen, zahlst du unter Garantie zurück und verstehen tut es keiner.

Ich war nach 8 Monaten Mama-Sein so glücklich, endlich wieder Geld zu verdienen. Und schon kommt der Schlag in die Magengrube.

Rückzahlung! 5.500 Euro einmal Retour bitte. Und weil es noch nicht wild genug ist, packen sie gleich auch noch diverse Drohungen von Haftstrafen bei Nichtzahlen zum Ende des Monats mit rein.

Ähhh, was?

Wozu bekommt man denn Elterngeld? Damit man es sich auf das Konto legt und ja nichts ausgibt davon? Wovon sollen denn oben genannte Kosten weiter gezahlt werden? Vom Mann? Wo leben wir denn bitte? Warum steht es mir als Frau nicht zu, ein Kind zu bekommen und mich zu ernähren? Ohne Ernährer?

Keine Elternzeit? Kein Mutterschutz? Keine Zeit mit dem Kind in dieser wirklich bezaubernden und mega anstrengenden Phase?

Was bitte will die Politik damit erreichen?! Etwa, dass wir dann eben keine Kinder bekommen, wenn es uns stört?

Der Kampf ist lang, die Glaubenssätze dazu noch länger. Und auch wenn das Elterngeld noch eine weitere Katastrophe im Strudel abwärts ist, ist das doch ein anderes Thema. Genau wie Sternengeburten und der Umgang damit.

Mutterschutz vor und nach der Geburt und der finanzielle Ausgleich sollten ein Recht für jeden Unternehmer mit Uterus sein!

Meine Geschichte ist wahrlich noch entspannt. Ich habe von zu Hause aus gearbeitet. Doch mein Respekt geht an all die Mamas da draußen, die sich kurz nach der Geburt wieder ihrem anderen Kind widmen: Dem Salon. Und dort auch präsent am Stuhl sind.

Ihr seid meine Heldinnen und für euch will ich laut sein. Weil jede Mama diese besondere „Pause“ von der Arbeit hat.

Annemarie Graf hat auch mit anderen Unternehmerinnen aus ihrem Schönsein Club über die Schwangerschaft und Elternzeit gesprochen - ihr findet die Mini-Interviews ► hier: Ungehörte Stimmen - Unternehmerinnen teilen ihre Mutterschutz-Erfahrungen

Annemarie Graf - Schönsein.Blog
(Business Beratung und Marketing Agentur für Friseure)

Früher: Friseurmeisterin, Leiterin von 2 Friseursalons und internationale Trainerin für eine bekannte Marke.
Heute: Business- und Marketingberaterin für Friseurunternehmer*innen, Autorin, Bloggerin, Podcasterin und Mutter einer kleinen Tochter.